Auch Deutsche sollen sich folgendes bewusst machen:

Das Sprachenlernen gilt nicht nur für “Nicht-Deutsche”!

 

Das neue Heimatland vieler in die BRD eingewanderten Menschen ist Deutschland und somit ist es auch das Heimatland aller Enkel und nachfolgenden Generationen, dessen sind sich 95 % aller Einwanderer bewusst. Die Annerkennung des neuen Heimatlandes ist der Grund für viele Einwanderer ihren Gastarbeiterstatus abzustreifen und sich für nun schon seit 50 Jahren in der neuen deutschen Heimat niederzulassen. So wurden nun schon vier bis fünf Generationen in der neuen Heimat geboren und wachsen hier auf. Die in Deutschland geborenen Generationen bezeichnen sich als Münsteraner, Hamburger, Berliner, Honnoveraner etc. und zeigen somit ihre Verbundeheit zu ihrer deutschen Geburtsstadt. Die Verbindung zum Herkunftsland drückt  sich nur noch über die Eltern oder Großeltern: “Meine Eltern kommen aus Portugal”. Und diese Brücke auf diese Weise zum Ursprungsland der Vorgenerationen zu schlagen und dabei die eigene Identität mit der Prägung durch das eigene Geburtsland zu schlagen ist auch ein guter und richtiger Weg. Allerdings erleben wir auch zu besonderen Anlässen wie der Fußball WM häufig das Phänomen der besonders stark ausgeprägten nationalen Zugehörigkeiten z.B. bei Jugendlichen ohne schulische bzw. berufliche Ausbildung oder Beschäftigung. Schnell tritt dann die Zugehörigkeit zum deutschen Geburtsland in den Hintergrund und wird gar durch das Herkunfsland der Eltern oder Großeltern ersetzt. Sprich man diese Jugendlichen einzeln darauf an, woher ihr stark ausgeprägter Nationalismus plötzlich herrührt, bekommt man von ihnen zunächst den Eindruck, dass ihre Aussagen unverbindlich und ohne Ernsthaftigkeit zur kurzfristigen Selbstdarstellung dienen und nicht repräsentativ für die Verbindung zum Herkunftsland der eigenen Vorfahren stehen sollen. Ich bin aber überzeugt davon, dass hinter den Aussagen dieser Jugenlichen dennoch viel Ernsthaftigkeit steckt und die übereifrige nicht-deutsche nationale Zugehörigkeit ernst genommen werden sollte. Vor allem Jugendliche, die sich ausgeschlossen fühlen, neigen zu einem solchen trotzigen Verhalten als Akt des Protestes und Ablehung des eigenen deutschen Geburtsortes. So entsteht der Teufelskreis von gegenseitigen Vorurteilen und fremdenfeindlichen Aussagen wie “Warum passen sich die Türken nicht besser an?” oder  “Warum wird gegen den EU-Beitritt der Türkei oder Deutsch-Türkische -Schuleinrichtungen gestimmt?”

Ich denke vor allem die zweite Frage kann unser CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz mit seinem kürzlich bei der Edition Köber-Stiftung erschienenen Buch “Besser für Beide – Die Türkei gehört in die EU” beantworten. Dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre für jede Deutsche und jeden Deutschen sein.

Die in Deutschland geborenen Folgegenerationen von Einwanderern können sich am besten in der Sprache ihres Geburtslandes artikulieren ganz gleich ob er seine vergangenen Wurzeln in Spanien, der Türkei, Portugal, Tunesien oder Griechenland hat. Wächst jemand in Deutschland auf, ist hier in den Kindergarten und in die Schule gegangen und beherrscht die deutsche Sprache, dann gilt sie oder er als Einheimischer in Deutschland. Und auch die nicht-deutschen Einwanderer der 1. Generation sind sich über die Verbundenheit ihrer Folgegenartionen zum Geburtsland Deutschland bewusst und haben über die Jahre eine gute Akzeptanz für die Deutschangehörigkeit ihrer Kinder und Enkel entwickelt. Diese Akzeptanz der Vorgenerationen geht Hand in Hand mit einer gleichzeitigen Symphathie der in Deutschland geborenen Nachkommen von Migranten für das Land der Vorfahren – den nicht-deutschen Wurzeln. Daher ist es auch sehr natürlich, dass in Deutschland geborene Kinder von Migranten oft den Wunsch danach hegen, ihre Schulferien im Herkunftsland der Eltern oder Großeltern zu verbringen oder die Sprache ihrer Eltern bzw. Großeltern als Fremdsprache in den eigenen deutschen Schulen unterrichtet zu bekommen. Solche Muttersprachenangebote sind in Deutschland sehr beliebt, gut besucht und werden auch eifrig gelernt. Grund hierfür ist, dass sich die erlernte Muttersprache auch in Deutschland vor allem im Umgang mit den eigenen Verwandten anwenden lässt. Diese Mehrsprachigkeit ist ein großer Vorteil für Deutschland, von dem der deutsche Staat sehr viel profitieren kann und daher diese Sprachpotenziale auch gezielt nutzen sollte. Kulturelle Vielfältigkeit und Mehrsprachigkeit sollte nach wie vor viel stärker gefördert werden, denn dadurch erlangen Kinder für jeden Bereich hervorragend anwendbare Kulturkompetenzen und eine größere Offenheit des Erfindergeistes um vor allem mehr eigene Ideen entwickeln zu können, denn Kulturkompetenz bedeutet Innovation in allen Lebenbereichen. Vor allem das deutsche Volk sollte sich eines ganz bewusst machen: Menschen, die sich diese Kulturkompetenzen aneignen, können am besten positiv auf die Entwicklung in den sozialen, kulturellen und technischen Bereichen unserer Gesellschaft einwirken.

 

 

Von der kulturellen Vielfältigkeit und Mehrsprachigkeit profitieren!

Das Verhalten der deutschen Mehrheit zeigt aber deutlich, dass sie nicht wirklich von der kulturellen Vielfältigkeit und Mehrsprachigkeit profitieren möchte. Das Gegenteilige ist hier der Fall, denn es findet sogar eine Ausgrenzung statt. Es werden den Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln und nicht-deutscher Sprach- und Kulturherkunft Mauern in den Weg gestellt und ihnen nicht ausreichend Möglichkeiten geboten ebenfalls von den Potenzialen des Staates zu profitieren. Dies betrifft vor allem Migranten der 1. und 2. Generation, die keine anderen optionalen Angebote bekommen haben als die des einfachen Arbeiterstatus. Sie hatten keine besonderen Sprachangebote und haben die deutsche Sprache aus eigener Kraft gelernt, damit sich wenigstens in ihrem Alltag in deutschland sich sprachlich zu Recht finden konnten. Der fremde Akzent, über den häufig unangebrachte Bemerkungen oder Scherze gemacht werden,  konnte hierbei nicht ganz aufgelöst werden aufgrund des späten Alters für das Erlernen der deutschen Sprache. Der Akzent ruft häufige Bemerkungen und Vorurteile hervor: “Diese Leute leben schon seit 50 Jahren in Deutschland und können immer noch kein Deutsch. Sie wollen unsere Sprache nicht lernen. Sie wollen sich nicht anpassen!”

Zum Vergleich solle nun das Beispiel mit den über 60-jährigen Mitmenschen herangezogen werden, die verschiedene Dialekte des sächsischen, hessischen, schwäbischen, bayrischen oder fränkischen sprechen. Wieviele der Nachkommen dieser Mitmenschen verstehen diese Dialekte und beherrschen sie ebenso?

Schauen wir durch einen weiteren Blickwinkel.  Wieviele Deutsche, die beispielsweise einen gemeinsamen Arbeitsplatz oder eine Nachbarschaft haben, haben zu sowohl besonderen als auch alltäglichen Anlässen wie zu Geburtstagen oder Abendessen ihre nicht-deutschen Kollegen oder Nachbarn ebenfalls eingeladen? Oder wieviele der Deutschen haben sich von den Einladungen ihrer nicht-deutschen Mitmenschen tatsächlich ernsthaft angesprochen gefühlt? Ich denke, dass nur die wenigsten Menschen eine eindeutige Antwort auf diese Fragen geben werden können. Für ein friedliches Leben in unerer Gesellschaft, in der jeder Mitmensch das Recht auf soziale Gerechtigkeit besitzen kann, müssen in erster Linie auch die Deutschen ihre Vorurteile, die tief in ihren Hinterköpfen sitzen, abbauen.

Seit 28 Jahren arbeite ich bezüglich dieser Themen mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei Radio Kaktus Münster e.V. und wir versuchen diese kontraproduktiven gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenzuwirken. Dies tun wir nun seit 28 Jahren und haben die Wege der Kultur-, Kunst-, Bildungs- und Weiterbildungsarbeit gewählt um die Wichtigkeit von Multikulturalität zu verdeutlichen. Dabei haben stets rein ethnische Arbeit abgelehnt, denn unsere Angebote richten sich an alle Menschen!  Unsere Arbeit wird von engagierten Persönlichkeiten aus dem Kultur- und Kunstbereich wie unseren 1. Vorsitzenden Dr. Michael J. Rainer stark gefördert. Mit unserer Philosophie “Die Welt ist unser Zuhause, Menschen bedienen ist unser Glaube” haben wir neue Perspektiven für unsere Arbeitsmethoden eröffnet um Menschen verschiedener Kulturen, Religionen und Nationalitäten friedlich zusammenzuführen. Es macht uns glücklich zu hören wenn jemand von sich sagen kann: “ich bin ein/eine spanisch/türkisch/jugoslawisch sprachiger Deutsche/-r. Wieso macht es dann aber einen Einheimischen Deutschen nicht so glücklich wenn das eigene Kind als Sprachschulfach türkisch, jugoslawisch, kirgisisch etc. auswählt. Warum schafft dies solche Ängste?

Leider stehen der Toleranz oft Überheblichkeit, Unwissenheit und falsche nationale Vorurteile entgegen. Dies ist sehr bedauerlich und kostet das friedliche Zusammenleben.

 

 

11 Juni 2010

Molla Demirel