Sevgi saß allein in der Beratungsstelle. Draußen war der Himmel mit Wolken bedeckt. Ihr Herz
wurde durch das trübe Wetter mit Unbehagen gefüllt. Sie zeichnete irgendwelche Figuren auf den
Kalender, der vor ihr auf dem Tisch lag. Ihre Augen und Ohren waren an der Tür. Sie hoffte,
dass jemand kam und sie von diesem unbehaglichen Gefühl und der Einsamkeit befreit wurde.
Feride öffnete langsam die Tür und kam herein. Ohne zu grüßen, setzte sie sich gleich auf den
ersten Stuhl. Wie das Wasser einer geöffneten Schleuse flossen ihr die Tränen aus den Augen.
Sie versuchte sich die Tränen mit dem Tuch, dass sie um ihren Kopf gebunden hatte, abzuwischen
und sie vor Sevgi zu verheimlichen. Aber vergeblich, denn Sevgi beobachtete das Geschehen,
während sie weiterzeichnete, durch ihr dunkelblondes Haar, das in ihr Gesicht gefallen war. Sie
sollte sich ausweinen, das würde sie beruhigen und anschließend könnte man sich dann in Ruhe
unterhalten, überlegte sie.
„Ach, wenn ich doch auch nur so schluchzend weinen könnte. Vielleicht würde mich das dann von
meinem Unbehagen erlösen. Ich kann es nicht. Manche Menschen sind wie Theaterschauspieler,
sie können weinen und lachen, wann immer sie es möchten. Wann habe ich denn das letzte Mal
geweint?“ Nach diesem leisen Murmeln, nahm sie ihr Haar in die Hand und wickelte es um ihren
Finger. Sie versuchte sich an vergangene Tage zu erinnern. Das Bild des braungebrannten jungen
Mannes aus Urfa mit dem Adlerblick glitt am Fenster vorbei und stellte sich vor sie.
„Ach, mein Liebling, schon wieder du? Mein kurdischer Mustafa, als ich deine Todesnachricht
erhielt, weiß ich nicht, wie viel Wochen, wie viel Monate, wie viel Tage und Nächte ich geweint
habe. Ich habe aber nun einen Strich unter das Weinen, den vergangenen Erinnerungen und den
mit Liebe gefüllten Tagen gezogen.
Vielleicht ist Weinen das Ergebnis von Hilflosigkeit und Schwäche. Verzeih mir.
Die Entmutigung und dich habe ich aus meinem Heft radiert. Aber die Einsamkeit bedrückt mich.
Bedrücken ist einfach gesagt. Ich habe Angst, wenn ich allein bin.
Wie sehr wollte ich damals die Einsamkeit, um in Ruhe weinen zu können. Aber ich weine nicht
mehr. Ich denke ab und zu an dich. Was hattest du damals gesagt?
”Liebe ist nur in unserem Herzen Liebe. Wenn der Mensch sie sich vorstellt, beteiligt man sich an
etwas und wird für den Moment schaffend. Wenn man erschaffend ist, verliebt man sich.
Jemanden zu lieben, ist eigentlich nichts anderes als sich einem anderen geliebt zu machen.”
” Ja, das hast du gesagt. Wenn ich doch zu weinen vergessen habe, habe ich dich wirklich geliebt,
hast du mich geliebt oder haben wir uns, wie du betont hast, selbst geliebt?
Ich stelle mir oft diese Frage. Ich finde die Antwort nicht. Komm‘ doch eines Nachts in mein
Zimmer. Löse diese Verworrenheit in meinem Kopf. Bring mich von neuem in die Helligkeit …“
sagte sie. Sie holte sich eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Schublade.
Sie wollte gerade Feride eine Zigarette anbieten, erinnerte sich aber daran, wie sehr Feride
Rauchen hasste und zog ihre Hand, wie wenn sie sie von einem Feuer zurückziehen würde,
zurück. Sie nahm einen tiefen Zug. Den Rauch pustete sie gegen das Fenster. Der Rauch
hinterließ einen Grauschleier an der Scheibe, danach verwandelte sich der Rauch in verschiedene
Formen. Eine der Formen erinnerte sie an einen weglaufenden Hirschen.
„Es besteht eine Ähnlichkeit zwischen einem Hirschen, der von Berg zu Berg läuft, um zu
überleben, und den Menschen, die vor ihren Sorgen weglaufen und die, um sich ihr Brot
verdienen zu können, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt ziehen.“ dachte sie.
Sie schaute noch einmal zum Fenster und lächelte als sie das Bild des Hirschen nicht mehr sehen
konnte.
„Unsere Ahnen sagten nicht umsonst ‚Aus Eis wird keine Villa‘ „, murmelt sie.
Sie zerdrückte ihre Zigarette im Aschenbecher. Sie stand auf und ging zu Feride. Sie legte ihre
Hände auf Ferides Schulter und massierte sie leicht. Das Kopftuch stellt ein Hindernis für ihre
Hände dar, sie zog es von Ferides Kopf runter und ließ es auf ihre Schultern fallen. Sie streichelte
mit einem mütterlichen Verhalten über Ferides schwarzes, glänzendes Haar. Sie bemerkte zum
ersten Mal, dass unter diesem dunklen Haar ein sehr hübsches und einem lieblichen Gesicht eines
Kindes gleichendes Gesicht steckte.
„Was fegen diese Fetzen deine Schönheit hinweg? Du achtest nicht auf dein Aussehen, du siehst
aus, wie eine Bettlerfrau „, wollte sie sagen, doch sie bemerkte wie die Tropfen, die silbern
glänzten, auf ihrer Wange runterrollten. Sie schluckte. Mit ihrer Hand wischte sie Ferides Tränen
weg.
“ Hör auf zu weinen, sage mir doch was dich so bedrückt.“
„Was mich bedrückt, Schwester ? Meine Ehe geht in die Brüche. Die Männer sind doch alle so
undankbar. Eine Hure hat dem Mann den Kopf verdreht. Was sie hat, habe ich auch. Wenn es
ihm gelüstet, zieht er mich ins Bett, oder beschimpft oder schlägt mich. Soviel ich kann, diene ich
ihm. Was möchte er denn mehr. Was hat dieses deutsche Weibsstück mehr als ich?“
„Halte mal Feride! Rede offen, mein Liebling. Warum geht deine Ehe kaputt. Möchte dein Mann
sich von dir scheiden lassen?“
„Nein, nein, das hat er nicht gesagt, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Mitten in der
Stadt hat er dieses Weibsstück geküsst, ich habe es mit eigenen Augen gesehen…“
„Warum regst du dich denn so auf, was ist denn dabei? Es könnte doch eine Verwandte oder
Freundin gewesen sein, die du nicht kennst oder eine Verwandte eines guten Freundes.“
„Du bringst aber neue Sitten ins alte Dorf. Seit wann kann sich eine Frau mit einem Bekannten,
mit einem Arbeitskollegen küssen, gibt’s diese Bedingung im Islam? Sagt man denn nicht, Feuer
und Streichhölzer können nicht zusammenstehen. Zudem kommt er in letzter Zeit sehr spät nach
Hause. Auch im Bett rührt er mich nicht soviel wie früher an. Dem Mann ist der Kopf verdreht.
Ich versuche mich zu nähern und tut so als ob er es nicht bemerkt. Zudem reden auch schon
einige Bekannte. Sie sagen, er habe eine Geliebte. Ich habe es zuerst nicht geglaubt, aber ich
habe es doch nun mit eigenen Augen gesehen, Schwester. Ich sagte doch, sie haben sich mitten
in der Stadt geküsst, Weißt du was ich in dem Moment gefühlt habe. Der Erdboden hätte sich
auftun und mich in sich vergraben sollen. Die Augen sollen ihnen rausfallen, diesen undankbaren
Männern… Was gibt ihm diese Frau? Was sie hat, habe ich auch. Was habe ich weniger als sie?“
„Warte mal, Schwester! Hast du denn gar keine Schuld? Hast du mal über eure Beziehung und
eure Art zu leben nachgedacht?“
„Natürlich habe ich das. Wenn ich aus der Fabrik komme, gehe ich noch zum Putzen. Dann
mache ich zu Hause den Haushalt, ich wasche und bügele seine Kleidung, ich mache sein Bett
und sein Essen; auch wenn ich vor Müdigkeit oder Krankheit mal nicht kann, weise ich ihn
niemals ab, wenn er mich möchte. Ich habe weder seinen Stolz noch seine Ehre verletzt. Was
kann eine Frau mehr für ihren Mann tun?“ nachdem sie dieses gesagt hatte, blickte sie, wie ein
hilfloses Kind, das Hilfe erwartet, ihrem Gegenüber in Gesicht.
“ Nein, meine Dame, das reicht nicht um eine Familie zusammenzuhalten. Schau doch mal in
deine Umgebung. Du hast einen Fernseher zu Hause stehen, sieh dir verschiedene Filme und
Theaterstücke an und denk darüber nach …“
„Wie kann man denn das Familienleben mit dem in den Filmen gleichgesetzt werden?“ „Es kann,
Schwester. Natürlich läuft das wirkliche Leben nicht ganz so bunt wie den Filmen ab. Aber es
gibt dennoch Ähnlichkeiten.“
„Was für welche?“
„Schau dein Mann, der Herr Ömer, ist jemand der das Leben liebt. Er liebt Raki und gute
Unterhaltung. Er hat Humor, sobald er anfängt zu reden, krümmen sich alle in seiner Umgebung
vor lachen. Du musst in seiner Sprache sprechen, mit Humor musst du ihn zum lachen bringen,
einen Weg zur Unterhaltung eröffnen.“
„Bin ich Schauspielerin oder seine Ehefrau?“
Sevgi nahm zwei tiefe Züge von ihrer Zigarette. Ihre Augen glitten zum Fenster. Ihre Blicke
blieben an zwei Vögeln hängen. Der eine setzte sich auf einen Ast. Der andere erhob sich mit
schnellen Flügelschlä- gen in Lüfte. Sie schaute ihm hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.
Sie schaute zu Feride, die noch immer auf eine Antwort wartete. Ihre Augen waren mit Tränen
gefüllt.
„Lass diese unnötigen Worte sein, Schwester, und denk mal lieber nach. Entweder wirst du ein
Teil deines Mannes oder du bereitest dich auf eine Trennung vor. Wenn du deinen Mann liebst,
ihn glücklich machen möchtest und deine Ehe retten möchtest, musst du dich auch, wenn nötig,
wie eine Schauspielerin Verhal- ten. Vergiss nicht jeder Mensch ist nur ein Schauspieler in
der Gesellschaft, in der er lebt. Um akzeptiert zu werden, möchte man , dass über das, was
man gesagt hat, nachgedacht wird. Die Menschen stehen Schlange um das Schauspiel zu sehen,
dessen Thema sie wirklich in einer ordentlichen Zusammenfassung sehen möchten. Du musst
dich so kleiden und benehmen, wie dein Mann dich sehen möchte. Du musst ihn soweit bringen,
dass er dich jeden Augenblick, den er von dir getrennt ist, vermisst ..“
„Deiner Meinung nach, weiß ich also nicht wie ich geliebt werden und gefallen kann?“
„Außer, dass ich Sozialarbeiterin bin, bin ich zuerst einmal deine Freundin. Nimm es mir nicht
übel, aber wenn ich ein Mann wäre und dich jeden Tag so verwahrlost und in diesen Fetzen
sehen müsste, hätte ich auch bald genug. Ich würde mir eine Frau suchen, die weiß wie man
sich kleidet, sich die Haare frisiert, meinen Tisch schmückt, mir in jedem Bereich Freund und
Partner sein kann“
„Du kennst doch unsere Gesellschaft, wie kannst du bloß so etwas sagen? Wenn man sich etwas
nach seinem eigenen Geschmack kleidet, sich die Haare frisiert und offen trägt, setzen sie tausend
Gerüchte in die Welt. Sie sagen ‚bist du denn nicht Moslem?‘ Du kannst dich dann nicht vor den
ganzen Gerüchten der Umgebung und der Verwandtenretten. Denkst du denn, ich möchte mich
nicht wie ein ordentlicher Mensch anziehen? Welche Frau möchte schon mitten im Sommer, wie
ein Schafshirte in diese Fetzen steigen. Aber was willst du machen; die Zunge der Umgebung
sollte abbrechen. Sie hindert uns an all unseren Wünschen…“
“ Oh nein, dieses Milieu erschafft ihr selber. Auch ich komme aus deinem Land, ich teile die
gleiche Religion und spreche die gleiche Sprache. Es gibt eine sehr schöne Volksweisheit `Jedes
Schaf wird an seinem eigenen Bein gehängt`. Jeder Mensch sollte über seine Lebensart selbst
bestimmen. Aber es ist ein natürliches Recht jedes Menschen, von den gegebenen Möglichkeiten
zu profitieren, sich ordentlich zu kleiden, gut zu unterhalten und menschenwürdige Beziehungen
zu unterhalten. Keiner hat das Recht, in dieser Beziehung ein Urteil über andere zu fällen und
über diese zu reden.
Wenn sie das nicht wissen, sollen sie es lernen. Ich bin nicht gezwungen, wie ein asozialer Mensch
zu leben. Wenn jemand so wie die Menschen aus dem vierten oder fünften Jahrhundert leben und
sich so kleiden möchte, soll er es tun. Aber er hat nicht das Recht, das gleiche von mir zu
verlangen.
Wenn ich dem anderen dieses recht gebe, über mich zu reden, dann bin ich auch nicht in meiner
Persönlichkeit weiter entwickelt, ich liege dann sogar weit hinter dem anderen zurück. Schau,
daher rührt dein Problem. In deinem Mittelalterverständnis versuchst den anderen zu ähneln. Dein
Mann möchte sich in die Arme eines Lebens, das er natürlicherweise sucht und vermisst, werfen.
Du hast dann auch keine Recht so einen Aufstand zu machen.“
„Der Mensch kommt nur einmal auf die Welt. Dabei stehen der Wunsch nach des eigenem
Lebensstil und der Leidenschaft im Vordergrund. In der Zeit, in der Abgrund zwischen Mensch
und Ausbeutung größer wird, beginnt die Krise, man erlebt dann täglich das wahre Unglück.
Dabei sucht der Mensch immer nach glücklich Momenten, oder bevorzugt die Erinnerung danach.
Ich persönlich erinnere mich nicht gern an Traurigkeit erzeugende Momente oder spreche darüber.
Das größte Geschenk, das man seinem Geliebten machen kann, ist das Herz. Man kann es zwar nicht
rausholen und dem anderen reichen, aber es gibt Verhaltensweisen und Wörter, die beweisen,
dass man sein Herz überreicht. Egal wie groß die Reue nach begangenen Fehlern ist, was bringt
es, wenn das Glas zerbrochen ist. Herz, Liebe, Respekt sind wie Glas. Wenn es zerbricht,
ist alles vorbei. Wenn du mich fragen solltest ‚ Ist das alles eine Suche?‘, ist meine Antwort:
Vielleicht ein Weglaufen wie vor einer Krankheit, vielleicht eine Befreiung vor dem Schlechten
und Erleichterung… Denk nach, denk gut nach, Schwester.“
Als die Kuckucksuhr ertönte, die an der Wand hing, schauten beide auf die Uhr. Feride zog
das Kopftuch, das auf ihren Schultern lag. Faltete es zusammen und verstaute es in ihrer
Handtasche. Dann stand sie auf, umarmte Sevgi und küsste sie.
„Ich glaube, du hast Recht. Ich werde nicht mehr putzen gehen. Ich muss den Herrn Ömer daran
erinnern, dass ich hübscher und talentierter bin als dieses Weibsstück. Niemand kann das Junge
vor den Augen der Löwin berühren; das muss er wissen …“ sagte sie.
Beim rausgehen knallte sie die Tür mit all ihrer Kraft zu. Das ganze Gebäude wurde gerüttelt.
Die Fensterscheiben quietschten. Sie machte sich auf den Weg zur Bank, sie mochte eine grobe
Rechnung für all das, das sie kaufen wollte. Sie hob Geld von ihrem Konto ab, und ging gleich
in das erste große Kaufhaus. Sie probierte einige Kleidungsstücke an. Jedes Mal, wenn sie sich
vor den Spiegel stellte, überlegte sie, welcher Schauspielerin sie ähnelte. Zum Schluss stellte sie
in einem Kleid eine Ähnlichkeit mit Türkan Soray fest. Das erfreute sie. Türkan Soray war die
Lieblingsschau- Spielerin von Ömer. Bevor sie das Kleid auszog, suchte sie noch nach passenden
Schuhen. Die Verkäuferin kümmerte sich sehr intensiv um Feride. Es war erstaunt, dass in diesen
Kleidern so eine hübsche Frau zum Vorschein gekommen war. Feride suchte sich noch eine Hose
aus. Die Verkäuferin brachte eine passende Bluse und eine Jacke dazu.
„Diese deutschen Frauen sind alle die gleiche fettige Plage. Sie können mit ihrer Zunge sogar den
Teufel vom Weg abbringen. Schau‘ die mal an, wie viel tausend Wege sie versucht nur um mir ihre
Sachen zu verkaufen. Mädchen, ich weiß doch besser als du, was mir steht,“ wollte sie sagen, hielt
doch inne und betrachtete die Verkäuferin.
„Seit Jahren mache ich den Dreck der Deutschen weg. Nun sollen sie auch einmal ein bisschen mir
dienen. Auch der Herr Ömer soll mal sehen, dass ich viel hübscher als die meisten Weiber hier bin.
Männer suchen nach gut angezogenen und sich wiegenden Weibern. Aber die Weiber sind auch
nicht ohne, unser Volk sagt nicht umsonst ‚Wenn die Hündin mit dem Schwanz wedelt, läuft auch
der Hund hinterher “ dachte sie.
„Wenn sie möchten, können sie die Sachen anbehalten. Wir können dann ihre Sachen einpacken,“
sagte die Verkäuferin. Sie begleitete Feride zur Kasse.
„Ich glaube, diese Verkäuferin ist jemand, die ihre Arbeit und die Menschen liebt. Mit welchen
Recht hege ich überhaupt Vorurteile gegen sie?“ überlegte sie.
Bei Verlassen des Kaufhauses bedankte sie sich bei der Verkäuferin. Seit dem sie in dieses Land
gekommen war, ging Feride zum erstenmal mit gehobenem Kopf. Sie betrachtete die Kleidung
der auf der Straße laufenden Menschen.
„So, nun bin ich auch angezogen wie ihr. Der einzige Unterschied ist, dass ich dunkel und etwas
hübscher als ihr bin,“ dachte sie. Als sie Zuhause ankam, sah ihre Nachbarin Astrid sie vor dem
Haus und rief:
“ Oh, du siehst sehr gut in den Kleidern aus, sehr schön …“
Feride stellt sich, in der Wohnung angekommen, gleich vor den Spiegel und drehte sich einpaarmal
hin und her wie ein Modell. Anschließend zog sie ihre Jacke aus und hing sie auf. Sie packte ihre
neuen Sachen in den Kleiderschrank, legte sich dann auf das Sofa und ruhte sich etwas aus. Mit
dem Geräusch der Uhr kam sie zu sich. Eilig kochte sie drei verschiedene Gerichte und machte
zwei verschiedene Salate dazu. Sie schmückte geschmackvoll den Esstisch. Mit Sorgfalt stellte sie
eine Flache Raki und zwei Gläser auf den Tisch. Als sie ein letztes Mal den Tisch betrachtete,
stellte sie fest, dass ihr Tisch nicht schlechter gedeckt war als der aus den Filmen.
“ Auch ich kann den Tisch, den ein luxuriöses Restaurant deckt, decken. Herr Ömer, du wirst
von nun immer an einem solchen Tisch mein Gast sein. Du wirst mit mir anstoßen,“ sagte sie laut.
Sie freute sich, dass niemand da war, der diese Worte hätte hören können.
„Achte nicht darauf mein Herz, achte nicht darauf, es ist ein trüber Tag, er wird vergehen“ fing sie
an zu singen.
Lange läutete die Klingel. Ömer hatte sich angewöhnt seinen Schlüssel rauszuhalten und die Tür
selbst aufzuschließen. Mit der Wendigkeit eines Rehs ging Feride auf die Tür zu. Als sie auf den
Sommer drückte, bemerkte sie, dass ihre Hand zitterte. Sie versuchte sich zu beruhigen. Ihr Haar
ließ sie voll auf ihre Schultern fallen. Mit dem Näherkommen der harten Schritte Ömers schlug
auch ihr Herz immer schneller. Als Ömer reinkam war er erstaunt. Er betrachtete Feride sehr lange,
und lachte.
„Nimm es mir nicht übel, Weib, aber es gibt doch ein Sprichwort ‚Dieser Esel gehört wohl uns,
aber wem gehört der daraufgelegene Sattel?‘ Gibt es heute etwas besonderes, von dem ich nichts
weiß?“
„Du siehst Ömer, ich habe mich verändert. Ich habe mich entschlossen, von nun an wie du das
Leben zu genießen. Ich werde mit Liebe zu dir, zu mir und zur Welt leben.“
Ömer stellte seine Tasche auf den Boden, zog sich die Schuhe aus und wartete auf seine
Hausschuhe. Als er merkte, dass sie ihm nicht angeboten werden, nahm er sie selber aus dem
Schuhschrank. Als er in Wohnzimmer ging sah er durch die offene Küchentür den gedeckten Tisch.
Er traute seinen Augen nicht.
„Hoffentlich hat das etwas gutes zu bedeuten. Entweder dreht die Frau total durch, oder wir werden
durch sie noch zu leiden haben.“ überlegte er.
Er konnte sich nicht entschließen, wie er sich verhalten sollte. Ein ihm unbekanntes Gefühl und
Schweiß überkam seinen Körper. Er ließ sich auf den Sessel fallen. Feride stellte sich ihm
gegenüber und lief ein paar Mal wie ein Modell vor ihm her.
“ Wie ist es, mein lieber Ömer? Gefallen dir meine neuen Sachen? Warum sagst du denn nichts?“
„Sie stehen sehr gut. Lass uns etwas essen, ich muss mich noch mit Laz Ahmet treffen …“
„Das Essen ist fertig, aber heute gehst nirgendwo hin. Rufe ihn an und sag ihm, was du zu sagen
hast.“ sagte Feride. Sie beugte sich zu Ömer und hielt ihn an den Händen fest. Wie ein Kind zog
sie ihn.
Auf dem Flur umarmte sie ihn, küsste ihn auf den Mund, auf das Gesicht, küsste und küsste und
küsste ihn. Ihre Lippen zitterten und ihre Tränen liefen wie aus dem Wasserhahn.
„Ich habe Angst,“ sagte sie, „Ich habe Angst dich zu verlieren. Ohne dich kann ich nicht leben.
Ich werde niemanden, der dich mir wegnehmen will leben lassen. Versteh‘ mich, ich habe Angst…“
Sie waren noch nicht neunzehn, als sie sich zum ersten Mal an Brunnen im Dorf getroffen hatten.
Sie hatten beide nicht in der Nacht schlafen können. Am nächsten Tag hatten sie sich Briefe
geschrieben. Beide erinnerten sich in dem Moment daran. Ömer fand kein Wort, dass er hätte
sagen können. Er nahm sie in den Arm und ging mit ihr in die Küche. Sie setzten sich am Tisch
gegenüber. Als das erste Glas ausgetrunken war und Feride nachfüllte, sang sie leise “ Solange
ich lebe, werde ich dich nicht fremden überlassen“. Ihre Stimme erhob sich. Ömer bemerkte zum
ersten Mal, dass Feride eine schöne Stimme hatte. Auch er fing an zusingen. Ein Lied zog das
andere hinter sich her. Es wurde spät.
„Was möchtest du morgen Abend essen; möchtest du Raki oder eine französischen Wein?“
fragte Feride.
Feride blickte in seine Augen. Wie verzaubert, konnte Ömer seinen Blick nicht von ihren Augen
abwenden.
„Wir gehen morgen zusammen chinesisch essen,“ antwortete er.
Wie ein Raubvogel ein Vogel greift, griff er nach Feride, brachte sie ins Schlafzimmer und warf
sie auf das Bett. Als sie ihren Kopf auf die Schultern ihres Mannes legte, dachte sie:
“ Ich glaube, ich habe es geschafft. Wir haben es geschafft, Schwester Sevgi…“
Ihre Augen waren wieder feucht, aber es waren Tränen der Freude, des Erfolges, des Glücks…