Was es über die Toten während der Gezi Park Aktionen zu sagen gibt!
(Der Journalist Gökhan Biçici bei seiner Verhaftung und danach; Foto: Gürsel Çoban)
Folgende Worte schrieb der unsterbliche Philosoph und Dichter Can Yücel für Deniz Gezmiş und seine Freunde:
„Ich bitte Dich, ich bitte Dich, ich bitte Dich Kind, ich bitte Dich
Wenn ich Dich bemitleide, nimm Dir meine Mutter, mein Weib
Natürlich ist das längste Rennen die Revolution
Er lief die schönsten die allerschönsten hundert Meter dieses Rennens
Er schoss als erster aus dem Gewährlauf als prallste Kugel
Er war der schnellste von uns allen, der schnellste von uns allen
Er war der erste, der mit seiner Brust das Zielband berührte
Ich bitte Dich, ich bitte Dich, ich bitte Dich Kind, ich bitte Dich
Wenn ich Dich bemitleide, nimm Dir meine Mutter, mein Weib
Aber ich bitte Dich“
Gegen ein fundamentalistisches – totalitäres Regime sind sie und wollen eine zeitgemäße und freie Türkei. Menschenwürde,
ein Leben in Freiheit, das fordern sie und fordern den Tod hinaus. Mit Büchern, Stiften und Schreibheften begannen sie im
Gezi Park den Widerstand und breiteten diesen in alle Regionen der Türkei aus.
Somit haben sie gezeigt, dass die Freiheitsfackel der 1968er Jugendbewegung, angeführt von Deniz Gezmiş, nicht erloschen ist.
Und wie benennen wir diese Jugend nun?
Möglicherweise können wir den Versen des Dichters Can Yücel, die die Herzen höher schlagen lassen, noch diese weiteren
Verse hinzufügen:
Seid gegrüßt
Hey Ihr, die Ihr Euch auf die Wege des Gezi Parks begeben habt
Ihr seid die in der Erde verborgenen und nun aufblühenden Knospen
Der unterirdisch leise strömende Fluß
Durchbracht die harten Gesteinsschalen der Felsen
Damit die Blätter an den Ästen nicht vertrocknen
Nicht erdrückt werden
Und die Ameise auf dem Erdboden
Zum Schutzschild habt Ihr Eure Brust gemacht
Gegen die Panzer der Tyrannen
Das Gas und die Waffenkugeln
Hoch sollt Ihr leben
Ihr führt Deniz, Mahirs
Ibrahims
Sinan
Und Erdal Erens Vermächtnis fort
Gegönnt sei Euch die reine Milch, die Ihr gesaugt habt
Wie einen ruhigen Fluß
Und an der schönen Frühlingsluft
Auf die ganze Welt hat sich der Funken Eurer Fackel verbreitet
Und wirklich “ist das längste Rennen der Türkei die Revolution“
2013 seid Ihr am schnellsten gelaufen
Hoch sollt Ihr leben! Gegönnt sei Euch der Stolz!
Diese angstfreie Tapferkeit
Sollte ich Euch bemitleiden
So bin ich ein ehrloser Mensch
Sollte ich Euch nicht bemitleiden
So sei Euch mein Leben geopfert
Hoch sollt Ihr leben! Gegönnt sei Euch dieser Stolz
Meine jungen Geschwister, die Ihr die Freiheit so liebt!
Die heutige Jugend hat die Entwicklungen, die wissenschaftlichen und technischen Aufschwünge dieses Jahrhunderts beobachtet.
Die Lebensgewohnheiten und demokratischen Rechte der Industriestaaten, die durch Demokratie erst entwickelt wurden, haben
sie miteinander verglichen.
Sie versuchten nicht reich zu werden, weder durch Bestreben nach Profit, noch durch Betrug an den Banken des Staates oder
seiner Einrichtungen. Sie schadeten weder dem Eigentum ihrer Mitbürger noch dem des Staates. Wissenschaft, Technik und ihr
Land lieben sie. Den fundamentalistischen Druck hätten sie nur bis hierher erdulden können.
Wie der Dichter Nazim Hikmet sagt: „Wenn Du nicht brennst / Wenn ich nicht brenne / Wie kann die Finsternis erleuchtet werden“.
Mit der Sehnsucht nach Freiheit und nach einer zeitgemäßen Türkei entzündeten sie im Gezi Park eine Fackel, die einen Weg zur
Erleuchtung führt und ließen die ganze Welt ihre Stimme hören.
Aber die Verantwortlichen erschraken vor dem Leuchten dieser Fackel anstatt dieser Stimme ihr Gehör zu schenken.
Sämtliche Waffenmacht des totalitären Regimes setzten sie ein.
Auch sie nutzen ihr Gehirn, ihr Denkvermögen einem Thron zu dienen.
Mittels eines totalitären Regimes ein Sultan zu werden und den eigenen Kindern ein Sultanat zu vererben ist das Bestreben des Diktators
und unter dem Vorwand ihm zu dienen scheuten sie nicht, ihren Nahestehenden, der Landesbevölkerung Leid zuzufügen.
Wenn sie auch nur ein wenig von geistiger Blindheit, Denkfaulheit frei wären, könnten sie vorausahnen, dass morgen auch ihre Kinder,
ihre ihnen nahestehenden Menschen sich an derartigen nach Demokratie und Recht fordernden Aktionen beteiligen werden. Erbarmungslos, gedankenlos würde der Gummiknüppel nicht geschwungen werden, Kugeln nicht abgefeuert und die jungen Menschen, die Freiheitsfackeln entzünden, im Gezi Park mit irgendwelchen Gasen vernebelt werden.
Gespannt frage ich mich, wie die Männer, die junge Menschen angeschossen, geschlagen und mit Gas bombardiert haben, ihren Kindern
in die Augen blicken, wenn sie zu Hause eintreffen…
Wenn die Intelligenz nicht erstarrt sein sollte, kann ein einziger Mensch zu keinem Zeitpunkt weder ein Diktator, noch ein Despot, noch
ein Ausbeuter sein.
27. Juni 2013
Molla Demirel
(Übersetzt aus dem Türkischen: Türkan Kurt)