(Gewidmet den Opfern des Faschismus)

Ah Ihr, wie Blumen seid Ihr

meine europäischen Freunde.

Wir alle sind aus einer Erde erschaffen.

Die Augenblicke unseres Lebens

bestehen aus Lachen und Tränen,

die sich süß und bitter ineinander vermischen.

Stürmisch vergehen meine Nächte.

In ihnen werde ich Dir entrissen.

Sie jagen mich mit Hunden

und entreißen die Kinder

aus dem Schoße ihrer Mutter

und werfen sie ins Feuer.

Und Du?

Du schweigst.

 

Meine europäischen Freunde, die ihr

Die Kinder und Schildkröten in Afrika

                                  und Asien beschützt,

Warum habt Ihr soviele Vorurteile,

Seid mir ein solcher Freund,

Seid mir ein solcher Feind?

Die hallenden Schreie der Kinder aus brennenden Häusern

und die von Ihrer Heimat entrissenen

und verbannten Neugeborenen,

ihre Stimmen fließen wie ein Fluss in den Himmel.

Erde und Himmel sind erfüllt von Schmerzen.

Und Ihr?

Ihr verschließt Eure Ohren.

 

Ah meine Freunde, glaubt mir

Alle aus Anatolien stammenden Völker,

Türken, Kurden,

Lazen, Armenier,

Juden, Araber

Ihr Fleiß steckt auch in Eurem Brot

Wie Ameisen arbeiten sie in der neuen Heimat

Eine Zukunft in Liebe

und Frieden errichten sie mit Euch

 

Mit ihren wie der blühende Frühling ertragreichen Händen

In Absicht, das letzte Leib Brot mit anderen zu teilen,

Stehen sie Euch nahe wie leibliche Geschwister.

In Ihren Händen tragen sie Nelkensträuße

Und reichen euch eine Welt erfüllt von Frieden und Freundschaft.  

Wie könnt ihr das vergessen meine Freunde?

Wie könnt ihr euch so verschließen?

Meine Schweißtropfen fügte ich hinzu zu Euren.

Blumen schmücken die Erde,

Die wir gemeinsam mit unseren Schweißtropfen gegossen haben.

 

Über Euer Glück habe ich mich immer mit Euch gefreut.

Brav stand ich immer am fließenden Band der Maschinen,

Vermischte meine Nächte in die Tage,

Damit auch Ihr ein Leben in Wohlstand erreicht.

Im Wasser, dass Ihr trinkt,

In der Suppe, die Ihr löffelt,

Im Bett, in dem Ihr ruht,

Ja da stecken auch meine Schweißperlen.

Meine Hände gab ich Euch,

Damit Eure Hände nicht ermüden.

 

Ah meine Freunde,

Blickt zurück in die Geschichte,

Immer standen Euch

die Türen der anatolischen Menschen offen.

Glaubt mir, sie sind Euch keine Feinde.

Immer boten sie Euch ihre Tafel, ihre Meere,

Ihre Berge und Wälder…

 

Ah meine europäischen Freunde,

In dieser Heimat in denselben Betten

öffneten unsere Kinder ihre Augen dieser Welt.

Lachen und Tränen verlaufen ineinander.

Seite an Seite standen wir in den Bergwerken

In Bergkamen, Seite an Seite an den

Thyssen Fließbändern, gefärbt mit unserem Blut.

Dieser Wohlstand, den ich mit meinen Händen erschuf,

Kannst Du meine Mühe nicht fühlen in dem Hemd,

dass Du trägst

und schmecken in dem Stück Brot, das Du kaust?

 

Wie vergesslich Ihr seid, meine europäischen Geschwister

Im gestrigen Krieg wurdet ihr verletzt,

Zur Hilfe eilte ich Euch und versorgte Eure Wunden.

Gemeinsam erbauten wir alles durch Krieg zerstörte.

Vergesslich sind Eure Köpfe und das Geschick Eurer Hände.

Rasch lasst ihr Euch von Feinden

und religiösen Dogmen verblenden.

Ich gebe Euch mein Wort,

Die Menschen aus Anatolien reichen Euch ihre Herzen

wie Blumensträuße.

Jedes Herz verbirgt und offenbart eine Welt.

Wie kannst Du es über’s Herz bringen,

diese Herzen wie leere Glasflaschen auf dem Boden niederzuschmettern.

Als falsche Freunde sind Euch die Feinde nähergerückt

Und füllten Euch mit Vorurteilen.

 

In keinem heiligen Buch ist der Platz eingeräumt,

Den Menschen zu schlagen, mit dem Du zusammenlebst,

Den Menschen zu jagen, mit dem Du zusammenlebst,

Die Kinder zu verbrennen,

                              die Deine Zukunft sind.

 

Immer geht Ihr den einfachen Weg, meine europäischen Freunde.

Die Kinder und Schildkröten in Afrika und Asien beschützt Ihr.

Die Kinder, die auf Eurem Boden zur Welt kommen

Erzieht Ihr in Angst und Schrecken,

die dann die Kinder jagen

und anzünden, die mit ihnen

In derselben Heimat zur Welt kamen.

Und Du?

Du schweigst. Mit welchem Recht, mit welcher Feigheit!

 

Öffnet Eure Augen,

meine europäischen Freunde.

Verfluchte Waffenscharen,

Die Dunkelheit, die ihr Zelt über unserer Welt ausgebreitet hat,

Blut, das Tropfen für Tropfen uns entrinnt.

Die Blumen,

             die Tiere

                    und Kinder,

Ihre Tränen verlaufen ineinander.

 

Die Tauben erblicken erschöpft den purpurnen Morgen.

Wir alle sind Gäste auf dieser Welt.

Für wachsende Bankkonten werfen wir einander ins Feuer.

In welchem Hafen werden künftige Generationen vertrocknen…

 

In den Wellen des nördlichen Meeres bin ich ertrunken,

mit der Flaschenpost in meiner Hand,

die meine Geliebte an den Ufern des Mittelmeeres fand.

 

Deine Hoffnungen konnten sie nicht vertreiben.

Sie sandten zwölf weiße Tauben in den Himmel.

Lieder sangen sie, eines ermutigender als das andere,

Als ob sie Vögeln und Fischen prallgefüllte Hände voller Futter

In den Himmel und ins Meer reichten.

Euer Schweigen macht mich wahnsinnig,

meine europäischen Freunde.

 

Diejenigen, die Euch erneut in den Krieg leiten wollen,

Haben Euch mit Vorurteilen und Feindschaft erfüllt.

Wie vergesslich Ihr seid,

nach all den vergangenen Kriegen.

Mit Hoffnung auf eine leuchtende Zukunft gaben wir uns

Gemeinsam unserer Arbeit hin.

Gemeinsam errichteten wir die Gebäude und Kaufhäuser,

die in den Himmel ragen,

bauten die Autos und die Wege,

die wir gemeinsam beschreiten.

 

Freiheit und Gleichstellung sind wie Vögel in unseren Händen,

aus denen sie uns entfliehen.

Glaubt mir, alle Menschen aus Anatolien gaben Euch ihren Fleiß,

Öffneten Euch ihre Türen,

          boten Euch ihre Berge,

                                 ihre Meere,

ihre saubere Luft und ihre Herzen.

 

Ihr wisst meine europäischen Freunde,

Im Feuer wird Liebe zu Asche, zu Hass.

Mit Eurer Trauer  sinkt Winter in mein Herz,

Mit Eurer Freude erblüht der Frühling in meinem Herz.

 

Eure Feinde trügen Euch.

Erwacht auch ihr im Frühling endlich aus diesem Winterschlaf

wie die bunten Blumen.

Einheit gab uns das Leben als einen Sinn.

Alle, die uns als fremd bezeichnen,

die uns Euch als Feinde aufzeigen,

wollen Euch in einen Krieg treiben.

 

Diese schweren Zeiten erdrücken mein Herz.

Die Rosengärten, die Kinder,

der Frieden und mein Herz lodern im Feuer.

Sie zerstören meine Hoffnungen,

erdolchen die Demokratie.

 

Ihr schweigt meine europäischen Freunde,

die Ihr doch immer wieder

“Demokratie – Dialoge – Demokratie” fordert.

Warum verschließt Ihr Eure Augen vor den Mördern?

Brennt nicht wie ich,

                     meine Freunde…

 

Autor: Molla Demirel

Übersetzt aus dem Türkischen: Türkan Kurt